Die drei Antragsteller*innen haben ihr Risikoprojekt über die Toten bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingereicht und müssen es nun vor einer Gutachter*innen-Kommission verteidigen. Doch der wahre Protagonist dieses intellektuellen Grenzgangs ist die wissenschaftliche Sprache selbst. An der Schwelle des Un/Denk- und Sagbaren muss sie ihre Autonomie und ihre allwissenden Sprachakte verteidigen.
DAS MILIEU DER TOTEN. DER ANTRAG ist eine filmische Dokumentation der gleichnamigen Veranstaltungsreihe und zeigt wissenschaftliches Denken am Rande von Spekulation und Administration. Video 1:06:12, OmU
Details
Auf allen Kanälen wird heute über den Tod philosophiert, das Sterben verhandelt, und die Verlängerung des Lebens in den Tod hinein gilt als eines der großen, technologischen Zukunftsversprechen. Aber die Toten selbst waren und sind eine Leerstelle, jedenfalls in „westlichen“ Gesellschaften. Wie verhalten sich die Humanwissenschaften, wenn sie als Letalwissenschaft die Schwelle des Un/Denk- und Sagbaren betreten? Wie navigiert die Wissenschaft (in diesem Fall Kulturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte) an den Grenzen von Wissen und Nichtwissen, ohne den Glauben und die Esoterik zu bemühen?
Im Sommer 2017 wurde bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein ungewöhnlicher Antrag eingereicht, der mit akademischen Mitteln ein Gebiet unseres Nichtwissens strategisch und empirisch vermisst: „Das MILIEU DER TOTEN“. Das wissenschaftliche Risiko und die Möglichkeiten der Eskalation waren angesichts des jenseitigen Themas enorm. Doch war dies nicht die einzige Besonderheit des Antrags.
Genese des Filmprojektes
Die Vorarbeiten des Film-Projekts begannen 2013 im Zusammenhang der Ausstellung „Unruhe der Form. Entwürfe des politischen Subjekts“ in der Wiener Secession (Produzent: Wiener Festwochen). In einer Installation der MAB wurde der Antragstext öffentlich debattiert und aufgezeichnet. Die fünf Aufführung des Antrags fanden 2017 statt: im silent green, Berlin und im Rahmen der MAB Installation „Die Stillgestellten. Das Meer als Transitzone zwischen Leben und Tod“, bei Theater der Welt, Hamburg. Insgesamt sahen 900 Besucher*innen die Aufführungen. Die Filmpremiere fand am 2. September im silent green in Berlin statt.
Eine Tragikomödie?
Nicht das Sterben oder den Tod, sondern die Toten selbst werden hier erforscht, und der Antrag stellt sich zusätzlich die Aufgabe, diese Forschung aus Sicht der Toten zu betreiben. Angesichts der Toten kann sich getrost jede*r Wissende und Akademiker*in zugestehen, dass er/sie nicht weiß, niemals wissen wird. Doch die Sprache der Wissenschaft macht da nicht mit. Sie möchte mit Exaktheit und Detailliertheit ihre Territorien abstecken – angesichts des noch nicht vermessenen Totenreichs eine Heraus-forderung. Als Protagonistin in diesem Theater der Überzeugung und Überredung (theatre of persuasion, Donna Haraway) erweist sich die Wissenschaftssprache selbst. Sie muss ihre Autonomie und allwissende Sprachakte verteidigen an der Schwelle des Un/Denk- und Sagbaren.
Die filmische Dokumentation zeigt das akademische Denken bei seiner Passung in wissenschaftsorganisatorische Anforderungen und gewährt erhellende Einblicke in den Quellcode der humanities und des Wissenschaftbetriebs. Das Milieu der Toten zeigt akademische Wissenschaft auf dem Seziertisch im Genre einer Tragikomödie, oder auch einer Scientific Romance.
Protagonist*innen
DAS MILIEU DER TOTEN ist ein reales Forschungsvorhaben und ein Wissenschaftstheater zugleich. Ein exellentes akademisches Ensemble tritt an: Die Philosophin und Expertin für Theorien des Todes, Prof. Petra Gehring (Darmstadt), ein Spezialisten für Materialien jenseits von Vitalismus und Thanatismus, der Literatur- und Kunstwissenschaftler Dr. Philipp Ekardt (Basel), und die Kulturwissenschaftlerin und Erforscherin parahumaner Prozesse, Prof. Karin Harrasser (Linz), präsentierten öffentlich ihren DFG-Verbundantrag. Der intellektuelle Grenzgang wurde vor einer Gutachter*innen-Kommission, bestehend aus dem Kultur- und Literaturwissenschaftler Prof. em. Hartmut Böhme (Hamburg), der Medienphilosophin Prof. Christiane Voss (Weimar) und dem Evangelischen Theologen Prof. Philipp Stoellger (Heidelberg) sowie – auch das ungewöhnlich – öffentlich und vor Publikum verteidigt und evaluiert.
Credits
Konzept: Petra Gehring, Karin Harrasser, Hannah Hurtzig
Antragsteller*innen: Philipp Ekardt, Petra Gehring, Karin Harrasser
Gutachter*innen: Hartmut Böhme, Philipp Stoellger, Christiane Voss
Research: Marian Kaiser
Regie: Hannah Hurtzig
Schnitt: Jörg Volkmer
Ton: Lukas Grundmann
Untertitelung: Carrie C. Roseland
Grafik: Pierre Becker / Ta-Trung
Textredaktion: Alexander Martos
Architektur Arena: Florian Stirnemann
Produktion Arena: Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss
Dramaturgie: Marian Kaiser
Produktionsleitung: Eva Lämmerzahl
Projektkoordination: Laura Weber
Technische Leitung: Andreas Harder
Video: Dokumentation Mathias Merx, Phillip Hohenwarter
Fotos: David von Becker
Gefördert von
Berlin: aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds
Hamburg: aus Mitteln des Elbkulturfonds im Rahmen von Theater der Welt 2017