Der Kongress war ein Ort der Begegnung zwischen verschiedenen Personen und Redeweisen, die aktuell definieren, was noch/schon lebendig und was noch/schon tot ist. Der Bereich dazwischen, eine unübersichtliche Zone des Untoten, wird in den Lebenswissenschaften kontrovers diskutiert und stetig fulminant erweitert. Die Forschungen der Biotechnologie, die Überlegungen der Medizinethik, die Errungenschaften der Transplantationsmedizin und die Zögerhilfen der Philosophie werden an drei Tagen mit den Bildwelten der Popkultur konfrontiert und aufgeladen. An diesen Schnittstellen sammelt der Kongress Erzählungen, Zeichen, Bilder und Chiffren, die in einem Archiv des Untoten dokumentiert werden. Bitte die Webseite von Ta-Trung anschauen: www.untot.info
Die Untoten – Life Siences & Pulp Fiction
- Kampnagel, Hamburg
- Inszenierte Konferenz
WANN BEGINNT EIN LEBEN?
WANN ENDET EIN LEBEN?
UND WER ENTSCHEIDET?
Wir modernen Menschen haben Schwierigkeiten, dem Tod einen Ort in unseren Lebensvollzügen einzuräumen. Vielmehr wird das Leben gehegt und gepflegt: Durch präventive Gesundheitspolitik und Optimierungstechniken (chirurgisch, pharmakologisch, maschinell, psychologisch) verlängert es sich, der Tod wird hinausgeschoben, das Sterben immer besser administriert. Und eines steht fest: Wir alle werden in die Situation kommen, zweifelhafte Entscheidungen getroffen zu haben, die uns überfordert haben werden und die sich rechtlich, symbolisch und menschlich auf einem schmalen Grat bewegen. Die verletzlichen Zustände zwischen Leben und Tod müssen täglich betreut, umsorgt, gepflegt und beschützt werden und es ist fraglich, inwieweit Individuen und Gesellschaft diese Sorgearbeit bereitstellen werden können. Wir haben die Eröffnung des Kongresses auf den 12. Mai gelegt, – den internationalen Tag der Pflege. Es sprechen und präsentieren: Gerontolog*Innen, Pfleger*Innen, Anwält*Innen, Mediziner*Innen, Theater- und Filmwissenschaftler*Innen, Philosoph*Innen, Künstler*Innen. Die Filme und Bilder, die diese drei Tage begleiten, kommen aus der grellen Popbildwelt der Zombies. Die Ideen der Transhumanisten, der Superkrüppel, der Wachkomapatientenbetreuer, der Postvernünftigen und der Pflegenden werden in einer Inszenierung der Überforderung und Unübersichtlichkeit simultan erzählt.
Es wird ein monströses Nebeneinander, eine unangemessene Begegnungsstätte des Disparaten sein. Aber das war die Zone zwischen Leben und Tod immer schon, auch damals im Jahr 1968 auf das wir uns als historisches Kondensat dreier Ereignisse, die ineinandergreifen und unsere heutige Situation bestimmen, beziehen: Auf die erste Herztransplantation in Südafrika folgte die Entscheidung des Harvard-Komittee in Bosten, den Gehirntod als Todeskriterium festzulegen. Vorsitzender war Henry K. Beecher, der in den 50er Jahren die amerikanische Folterforschung beraten hat. In der Villa Schuster, in der Nähe von Frankfurt am Main, in der die CIA experimentierte, ist er mit dem Dachauer Naziarzt Walter Schreiber öfters zum „Erfahrungsaustausch“ zusammengekommen. Ebenfalls 1968 kam George Romeros „The Night of the Living Dead” in die Kinos und etablierte die B-Movie-Ikone des Zombies als Reflexionsfigur für Gewaltverhältnisse: Krieg, Rassismus und Konsumismus sind Dauerthemen dieser Filme.
Dokumentation Die Untoten
weitere Filme > Mediathek und Webseite: www.untot.info
Inszenierung
Der gesamte Kongress wird in einem Filmset aufgezeichnet – ein Tribut an die Filmfigur der Zombies, die ohne literarisch-kunsthistorische Vorgeschichte auf den Leinwänden erschienen. Und der Film selbst ist ja ein untotes Medium: Zuerst zerstückelt er die Bewegungen lebendiger Körper, stellt sie still, rahmt und bannt sie, um sie dann auf der Leinwand zu reanimieren und vorzuführen.
Wir nennen es Kongress, aber es ist auch ein Spiel mit der Aufmerksamkeit der BesucherInnen und eine Darstellung von Wissenschaftskulturen und spekulativen Fiktionen. Er schließt an eine Inszenierungsform des 19. Jahrhunderts an: Die theatralen Wissenschaftspopularisierungen im Zeitalter des Fortschrittsglaubens. Unter dem Motto: „Wissenschaftliche Erkenntnis als Schock und Erstaunen erfahrbar machen“, gestaltete man öffentliche Schauräume, in denen die Aneignung von Wissen zum Moment einer kollektiven Praxis wurde – ein Volkstheater. Damals waren Zweifel und Kritik an der Kontrollierbarkeit von Wissenschaft und Technik und am Aufklärungsgedanken ungeplante Nebenwirkungen, – wir geben ihnen die ganze Bühne. Aus Unsicherheit, Definitionszweifeln, Kategorienfehlern und Versagen kann ein neues Verhältnis zu den Untoten entstehen und damit eine bessere Möblierung der Zonen des Halbwissens.
Credits
Wissenschaftliche Kuratierung
Dr. Karin Harrasser, Medien- und Kulturwissenschaftlerin, Köln; Dr. Oliver Müller, Medizinethiker und Philosoph, Freiburg im Breisgau; Georg Seeßlen und Markus Metz, Autoren und Filmkritiker, München
Raum & Inszenierung – Hannah Hurtzig, Mobile Akademie Berlin
Projektleitung – Philipp Hochleichter, Mobile Akademie Berlin
Realisation – Katrin Klingan, Samo Darian (relations), Berlin
Projektentwicklung – Dr. Alexander Klose, Kulturstiftung des Bundes, Halle (Saale)
Ein Projekt der Kulturstiftung des Bundes in Zusammenarbeit mit Kampnagel und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften