Nach dem erfolgreichen Markts zum Thema des Romantischen folgte in Dresden alle zwei Monate das Atelier des Marktes: ein offener Arbeitsraum für alle Freunde der erweiterten Themensuche. Hier testeten Expert*innen, Protokollant*innen und Zuschauer*innen verschiedene Themen auf ihre Tauglichkeit für zukünftige Märkte. Es war ein Atelier, aber eines, in dem Sätze, Texte und Sprache entstanden, keine Bilder. Ein Atelier, in dem sich das gemeinsame Nachdenken über ein Thema eine eigene Inszenierungsform suchte.
Das Atelier des Marktes ist nichts für Eingeweihte, Salon- und Clubmitglieder oder Diskursstatthalter, sondern ein Arbeitsraum für simultanes spekulatives Denken im Tempowechsel und offen für jeden, der daran beteiligt sein möchte.
Details
Atelier 1: Melancholie, Depression und andere Formen der Arbeitsverweigerung (November 2010)
Die historische, medizinische und literarische Unterscheidung der Melancholie und der Depression stand im Mittelpunkt dieses Ateliers. Die Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts beschreiben Melancholiker bzw. Depressive gerne als Versager, Feiglinge und Schmarotzer, dabei stellt der Melancholiker eine kluge Frage: wieso ist das Handeln eigentlich begründeter als das Nichthandeln? Und in der Passivität des Depressiven steckt immer noch ein Widerstandspotential gegen den allseitig verfügbaren Selbstverwalter und Selbstregulierer seiner dauerhaft produktiven Arbeitskraft. Eine Begriffsauslotung zwischen Pathologie, Renitenz und Dürer.
Prof. em. Dr. med. Werner Felber, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ehemaliger Leiter der Suizidambulanz an der Medizinischen Akademie Carl Gustav Carus Dresden und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Dresden.
Guillaume Paoli, Hausphilosoph am Leipziger Centraltheater, wo er die „Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck“ und die „Philosophische Parxis“ leitet. Als Mitbegründer der Gruppierung „Glückliche Arbeitslose“ und Mitherausgeber der Zeitschrift „müßiggangster“ befasst er sich mit den Themen Arbeit bzw. Nicht-Arbeit, Nichts-Tun sowie Faulheit.
Prof. Dr. Jürgen Müller, Professor für Kunstgeschichte an der TU Dresden, Kunstkritiker und Kurator, zahlreiche Veröffentlichungen unter anderem zu Film, Fußball und Photographie, zu Gerhard Richter, Rembrandt, Bruegel und Dürer.
Protokollant Michael Baute, Protokoll
Atelier 2: Jenseits der Fassaden und Visagen (Februar 2011)
Identitätsdebatten und insbesondere das Klagen über Identitätsverlust, sei es auf dem Gebiet der Architektur oder Psychologie, können einen wechselseitig zum Verzweifeln oder Einschlafen bringen. Im Begriff der Identität scheint sich all das nicht formulierbare Unbehagen zu sammeln, das man mit der zeitgenössischen Architektur und mit der eigenen Biografie haben kann. Aber an diesem Abend stellen wir die Frage nochmal: Worin besteht eigentlich die Idee von einem Haus oder einer Person und wie konstruieren wir sie uns? Drei Gespräche mit einer Medienphilosophin, die sich u.a. mit Wahrnehmungstheorie und der Theorie der Gefühle beschäftigt hat, einem Professor für Darstellungslehre, der die Neurowissenschaften aus der Perspektive von Kunst und Ästhetik betrachtet und einem Architekten, der sein gerade erschienenes Buch zur Identität von Architektur vorstellen wird. Mit philosophischen Interventionen von Pu der Bär und Vito Acconci.
Prof. Dr. Niels-Christian Fritsche, Professor für Darstellungslehre an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Dresden und als freier Architekt in Dresden tätig. Publikation (u.a.): Das Paradox des Sichtbaren – Ideen zum Vermitteln der zeitgenössischen Architektur in der Öffentlichkeit (2007)
Dr. Tom Schoper führt mit seiner Frau Henrike Schoper das Büro »schoper.schoper Architekten« und lehrt an der Fakultät Architektur der TU Dresden. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Diskurs von Architektur, Bildender Kunst und Philosophie. Publikation: Zur Identität von Architektur. Vier zentrale Konzeptionen architektonischer Gestaltung (transcript Bielefeld 2010)
Prof. Dr. Christiane Voss, Professorin für Medienphilosophie an der Bauhaus-Universität Weimar. Zuvor als Philosophin im Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrungen im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ der Freien Universität Berlin. Schwerpunkte ihrer Arbeit und Publikationen sind: Philosophische Ästhetik, Philosophie des Films, mediale Anthropologie und Theorie der Gefühle. Nebenbei ist sie als Dokumentarfilmemacherin tätig.
Die ZEITGENOSSEN sind eine Interessengemeinschaft von Stadtplanern, Architekten und Interessierten, deren Agieren eine interessante, und andersartige Kommunikation über und die Vermittlung von zeitgenössischer Architektur in Dresden zum Ziel hat.
Atelier 3: Alter. Was ist das? (April 2011)
An diesem Abend sprachen zwei Philosophen und eine Schauspielerin weder über demographische Horrorszenarien, oder die Alten als exotischen Stamm, oder über neue Wege des Seniorenmarketing, noch über das Endziel des Lebens. Es geht um radikalisierte Zeiterfahrungen, die Unwiederholbarkeit und Unumkehrbarkeit des Lebens als Denkmodell und um den existentiellen Schock, den ein unbedachter Blick in den Spiegel auslösen kann.
Petra Gehring ist Professorin für Philosophie an der Technischen Universität Darmstadt und forscht u.a. zur Theorie und Kritik der Biowissenschaften, zur Geschichte des Lebensbegriffs sowie zum Zusammenhang von Technik, Macht und Wirklichkeit heute. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen und Monographien, u.a. “Theorien des Todes. Zur Einführung” (2010).
Dr. phil. habil. Thomas Rentsch, Professor für Praktische Philosophie/Ethik an der TU Dresden und Leiter des kooperativen Forschungsprojekts „Gutes Leben im hohen Alter angesichts von Verletzlichkeit und Endlichkeit – eine Analyse von Altersbildern in öffentlichen Diskursen und Alltagspraktiken“ (VolkswagenStiftung). Veröffentlichung u.a.: Transzendenz und Negativität (2010).
Lore Stefanek ist Schauspielerin und Regisseurin, ua. am Schauspielhaus Bochum, Maxim Gorki Theater Berlin, Deutsches Schauspielhaus Hamburg und Schaubühne am Lehniner Platz. Von 1993 bis 2001 arbeitete sie zudem als Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Seit der Spielzeit 2009/2010 gehört sie zum Ensemble des Staatsschauspiels Dresden.
Atelier 4: Das Serendipitätsprinzip, oder: Wie das Silicon in Dresden entdeckt wurde (Juni 2011)
Dieses Atelier beschäftigte sich mit der Ideen- und Wirkungsgeschichte grandioser Erfindungen aus Dresden – ihren Personen, Produktionsorten und Nutzen für die Menschen. In den 30er Jahren forschte Richard Müller in Radebeul an einem Nebel, der im Kriegsfall deutsche Städte einhüllen und für feindliche Angriffe unsichtbar machen sollte. Dies gelang ihm nicht, aber als Nebenprodukt seiner unerfolgreichen Nebelforschung entdeckte er 1940 das Silicon („Der Zufall begünstigt nur einen vorbereiteten Geist!“) und schrieb Chemiegeschichte mit der Müller-Rochow-Synthese. In einem offenen Arbeitsraum debattieren Expert*innen, Künstler*innen und Informanten zusammen mit dem Publikum zur Wissenschaftsgeschichte des Silicon und der chemischen Fabrik v. Heyden in Radebeul, über die unveröffentlichte Erinnerungen Müllers und die Serendipität (Glücksfunde) in der wissenschaftlichen Forschung und verfolgen in einem wilden Recherche-Parcour die Frage – was ist eigentlich aus der militärischen Nebelforschung geworden?
mit Vorträgen und Präsentationen von: Dr. Wladimir Reschetilowski, Professor für Technische Chemie und Direktor des Instituts für technische Chemie der TU Dresden Dr. Otto Klemm, Professor für Klimatologie am Institut für Landschaftsökologie der Westfälischen – Universität Münster Julianne Capo, Heidi Eckstein, Peter Krüger, Johanna Schwab und Benjamin Thomas – KünstlerInnen der Fachklasse Übergreifendes künstlerisches Arbeiten an der HfBK Dresden
Credits
Ein Projekt der Mobilen Akademie in Zusammenarbeit mit dem Staatsschauspiel Dresden
Fotos: Daniel Koch